Verabschiede Dich vom Schwarz-Weiß-Denken!

Jun 11, 2024

Unter Ängsten und Panikattacken zu leiden ist wie ständig auf der Bremse zu stehen. Eigentlich möchte man, aber man kann nicht. Warum?

Viele Betroffene haben einen Entschluss dieser Art gefasst:

Wenn ich die Ängste dann überwunden habe, dann genieße ich mein Leben.
Wenn ich keine Panikattacken mehr habe, besuche ich meine Freundin.
Wenn mich die Ängste nicht mehr plagen, reise ich endlich wieder.
Wenn ich überhaupt keine Panikgefühle mehr habe, sage ich dem Chef die Meinung.
Wenn ich gar nicht mehr an die Angst denke, gehe ich wieder auf das Konzert.

Man lebt also nach der Devise: Alles oder nichts.
Oder anders gesagt: Man hängt im Schwarz-Weiß-Denken fest. 

Warum ist das so?
Viele Betroffene haben wahrscheinlich schon einige Versuche unternommen, sich Angst-Situationen zu stellen und sind von der Wucht der Angst überrollt worden. Entweder man tritt dann sofort den Rückzug an und flüchtet aus der Situation oder man steht sie schweißgebadet irgendwie durch und hat danach noch mehr Angst als vorher. In beiden Fällen ist die Konsequenz klar: “Nie mehr wieder!” Und dadurch kommt es zu diesen Entschlüssen wie oben beschrieben.

Und ich kann das gut nachvollziehen. Während meiner Angstbewältigung gab es auch einen Punkt, an dem ich mir sagte: “Es reicht! Ich kann und will diese Situationen nicht mehr haben. Ich bleibe lieber daheim.”
Und ganz ehrlich: Für eine gewisse Zeit kann das auch sinnvoll sein, wenn das Nervensystem so aufgewühlt und dys-reguliert ist, dass es einmal eine gewisse Zeit braucht, um wieder herunterzufahren.

ABER: Dann dürfen wir uns wieder aus unserer selbst gebauten Höhle herauswagen und unser Schwarz-Weiß-Denken (Schritt für Schritt) aufgeben.

Warum ist das wichtig?

Unser Gehirn lernt durch neue Erfahrungen.
Mit der Zeit bin ich auf den Haken draufgekommen, den mein Entschluss, lieber zuhause zu bleiben und darauf zu warten, dass die Angststörung vorbeigeht und erst dann wieder hinauszugehen, hatte: Die Ängste wurden nicht kleiner.
Uff, das war eine harte Erkenntnis.
Wenn ich im Supermarkt, beim Autofahren, im Restaurant, beim Spaziergang, etc. keine Angst mehr haben wollte, musste ich das meinem Gehirn in GENAU DIESEN SITUATIONEN beibringen. Ojeoje, ich dachte, das ginge auch von zuhause – leider nicht!

Also habe ich folgende neue Entschlüsse gefasst:

Es darf auch mal mit Angst sein

Genau, es darf auch mal mit Angst sein. Das nimmt enorm viel Druck aus der Sache. Ja, da wird Angst sein, wenn ich das versuche. Ja, da werden unangenehme Gefühle sein. Ja, das wird sich anfangs nicht toll anfühlen und ja, ich hab echt eine Sch***-Angst davor. Aber wenn ich mir mein Leben zurückholen will, dann werde ich um diesen Weg nicht drumherum kommen. Was uns schon zum nächsten neuen Entschluss führt:

Es darf mit kleinen Schritten sein

Wenn ich eine Sache gelernt habe, dann, dass sich unser Nervensystem nicht drängen und zwingen lässt (leider dachte ich das lange). Ich übte also sehr verbissen, konfrontierte mich am laufenden Band mit Angst-Situationen und hielt sie irgendwie durch, auch wenn die Angst einfach nicht kleiner wurde. Meine Idee: Wenn ich mein Nervensystem “mit Gewalt” an diese Situationen gewöhne, wird es irgendwann schon verstehen, dass hier alles okay ist. Weit gefehlt. 
“Mach langsam, aber mach was!”, wurde meine Devise. Du darfst Dir also Zeit lassen, darfst kleine Schritte gehen, darfst Pausen machen und dann wieder weitermachen. Und mein letzter Entschluss:

Darf’s es bisschen hellgrau sein, vielleicht mit Glitzer?

Wenn wir uns im Schwarz-Weiß-Denken bewegen, dann idealisieren wir das “Weiß”, wenn wir dorthin möchten und verteufeln das “Schwarz”. Wir machen also unser ganzes Leben, den Lebenssinn, die Lebensfreude davon abhängig, endlich zu diesem “Weiß” zu kommen. Vorher ist es einfach nur “Schwarz”, in unseren Augen also schlecht. Weißt Du, was wir dann verpassen, wenn wir nur auf das “Weiß” starren, das wir noch nicht erreicht haben?
Das Dazwischen.
Und weißt Du, was das ist?
Dein Leben. 
Ich habe mir bei diesem Entschluss die Frage gestellt, wie ich mein Leben “dazwischen” gestalten möchte – wenn ich eben noch nicht bei “Weiß” angekommen bin und das vielleicht auch in den nächsten Monaten noch nicht schaffen werde.
Welche Zwischentöne gibt es, die mir auch gefallen?
Ein schönes Grau mit Glitzer?
Ein ruhiges Hellgrau mit Sprenkel?
Wir wissen, dass das nur eine Metapher ist, aber ich möchte Dir damit sagen, dass ich weiß, dass es ein Dazwischen gibt!! Und auch im Dazwischen ist unser Leben lebenswert. Aber die Frage ist, wie Du es gestaltest.

Und nun stelle ich Dir die Frage:
Wieviel Leichtigkeit, Lebensfreude und Lebendigkeit kannst Du JETZT HEUTE in Deinen Alltag bringen? Aber Vorsicht: Denk nicht in Weiß und Schwarz, dass Du diese erst in Dein Leben zurückholen kannst, wenn es Dir wieder ganz gut geht. 
Die Frage, die sich für mich eher stellt, ist, wieviel schöne Momente kannst Du JETZT in den Zwischentönen (Du weißt schon: hellgrau mit Glitzer) erzeugen? (Pssst, ein kleines Geheimnis: Wenn Du lernst, am Dazwischen zu arbeiten und schöne Momente erzeugst, wird Dir das dabei helfen, einen Schritt weiter zu “Weiß” zu gehen.)

Wir schaffen das. 💚

Deine Klara

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Hinweis: Die bereitgestellten Inhalte dienen ausschließlich dem Informations- und Bildungszweck und ersetzen keine psychotherapeutische und ärztliche Behandlung. Mehr Informationen findest du hier: https://klarahanstein.com/agb/

Klara Hanstein

Klara Hanstein

Klinische Psychologin, Systemische Psychotherapeutin, Autorin

Die Österreicherin schreibt seit 2021 auf ihren Instagram- und Facebook-Kanälen über Angststörungen, Panikattacken, Trauma und Burnout.

Die Psychologin war selbst davon betroffen. Mit ihren eigenen Erfahrungen und ihrem Fachwissen hilft sie mittlerweile Tausenden Menschen.

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