Urlaub sollte eigentlich die schönste Zeit im Jahr sein.
Entspannung nach einer anstrengenden Zeit.
Endlich relaxen. Die Füße hochlegen. Die Seele baumeln lassen.
Tja, schön wär’s.
Für Menschen mit einer Angststörung und Panikattacken ist der Urlaub oft die schlimmste Zeit im Jahr. Für mich war das ehrlich gesagt ganz lange so. Am liebsten wäre ich gar nicht mehr von zuhause weggefahren. Durch die Angststörung und die Panikattacken war mein Aktions-Radius ohnehin sehr klein. Manchmal war der Schritt vor die Haustüre schon furchteinflößend und dann auch noch 300, 400 oder 600 km irgendwo hinfahren? Oh Du meine Güte, sicher nicht!
Und ich weiß, dass es vielen Menschen mit Ängsten auch so geht.
Was, wenn es mir dort plötzlich schlechter geht?
Was, wenn ich plötzlich nachhause will?
Was, wenn ich im Urlaub ärztliche Versorgung brauche?
Was, wenn ich in der Fremde eine Panikattacke bekomme?
Wie geht es mir, wenn ich nicht in der sicheren Umgebung bin?
Wie geht es mir, wenn die Routinen nicht vertraut sind?
Autobahn? Essen, das man nicht kennt? Städte, die man nicht kennt?
Und, und, und….
Ich kannte diese Sorgenschleifen alle.
Aber ich wusste auch: Ich will das wieder können. Ich konnte das früher auch.
Also ging es ans Üben. Und da haben einige Dinge geklappt. Und viele Dinge nicht.
Gestern bin ich aus einem Korsika-Urlaub mit acht Übernachtungen nachhause gekommen. Und was soll ich sagen: 18 Stunden Anreise, Überfahrt mit der Fähre (weil Hund mit im Auto), nur die ersten 4 Nächte war die Unterkunft gebucht, den Rest haben wir uns offen gelassen, fremdes Land, auf einer Insel, Nicht-sofort-wegkönnen.
Und: Es hat wunderbar geklappt.
Wie ich an diesen Punkt gekommen bin, erfährst Du in meinen wichtigsten Erkenntnisse aus vielen Urlaubs-Übungs-Jahren:
1) Fang klein an:
Ich habe den Fehler gemacht, dass ich zu Beginn meiner Übungs-Zeit zu große Sprünge machen wollte, was heißt: zu große Distanzen und zu lange Reisen. Deswegen musste ich auch mal einen Urlaub abbrechen, weil alles “zu viel” war. Daraufhin habe ich begonnen, nur 1 -2 Nächte wo anders zu übernachten. Und das im eigenen Land, nur eine kurze Autofahrt von zuhause entfernt (die man zur Not auch auf der Landstraße erreichen kann.
Frag Dich also immer: Was traue ich mir zu? Wie weit bin ich schon? Was fühlt sich schaffbar an?
2) Achte auf Deine Bedürfnisse:
Im Zusammenhang mit meinen Ängsten hatte ich ein schweres Reizdarm-Syndrom. In Hotels zu übernachten, in denen ich in überfüllten Frühstücksräumen sitzen oder auswärts essen musste, war der Horror. Ich habe dann entschieden, dass es für meine damalige Lebenssituation besser wäre, wenn ich in einem Appartement übernachte und Frühstück und Abendessen selbst zubereite und meine eigene Toilette in unmittelbarer Nähe habe. Das war für mich eine riesige Erleichterung. Außerdem konnte ich mich aufgrund meiner Ängste nicht in oberen Stockwerken aufhalten, weil ich einen starken Flucht-Instinkt hatte und immer wissen musste, wie ich am schnellsten aus einem Gebäude rauskomme. Ich suchte also Unterkünfte, in denen ich im Erdgeschoss sein konnte.
Frag Dich also immer: Welche Urlaubsart passt für mich? Was brauche ich? Was passt zu mir und meiner derzeitigen Situation?
3) Nimm eine vertraute Person mit:
Fahr mit einer Person in den Urlaub, die Deine Situation kennt und die weiß, wie sie sich verhalten soll, wenn es Dir nicht gut geht. Besprich das gerne vorher nochmal im Detail. Für mich war zum Beispiel wichtig, dass sich mein Partner im Urlaub nicht betrinkt, sondern immer ein guter Ansprechpartner für mich ist. Außerdem wollte ich lange Zeit nicht mit Freunden in den Urlaub fahren, weil ich mich zu sehr nach anderen hätte richten müssen und wahrscheinlich nicht gesagt hätte, was ich brauche.
Frag Dich also immer: Wem vertraue ich? Bei wem kann ich ehrlich ansprechen, wie es mir geht? Mit wem möchte ich gerne auf Urlaub fahren?
4) Nimm Dir Auszeiten:
So schön die neuen Eindrücke im Urlaub auch sein können, man braucht auch Zeit, um das Erlebte zu verdauen und zur Ruhe zu kommen. Ich bin ein Mensch, der zuhause auch gerne Zeit alleine verbringt, und für mich war es zu viel, wenn ich über mehrere Tage ein vollgepacktes Urlaubsprogramm absolvierte. Da merkte ich sofort, wie mein Nervensystem rebellierte. Es ist völlig okay, nicht die 20 Sehenswürdigkeit zu schaffen, sondern Dich zurückzuziehen, wenn das für Dich wichtig ist.
Frag Dich also immer: Wie verbringe ich daheim meine Zeit gerne und inwiefern kann und will ich das im Urlaub auch so machen? Wie möchte ich gerne Regenerations-Phasen einbauen? Was brauche ich dafür? Muss ich dafür von zuhause etwas mitnehmen? (Entspannungs-Musik, Lieblings-Buch, Yoga-Matte, Notizbuch, etc.)
5) Mach einen Notfallplan:
Um überhaupt wegfahren zu können, war es für mich wichtig, eine Art “Notfallplan” zu haben. Ich habe mir überlegt, was ich mache, wenn es mir nicht gut geht. Habe mit meinem Partner besprochen, wann es an der Zeit ist, heimzufahren, und mir sein Okay dazu geholt.
Frag Dich also immer: Wer kann für mich da sein, wenn es mir nicht gut geht (vielleicht auch telefonisch)? Was ist der Plan, wenn es einfach “nicht mehr geht”?
6) Du hast Dich selbst mit dabei:
Unterschätze nie Deine eigene Kraft. Du hast Dich schon aus vielen schwierigen Situationen herausgeholt. Du hast schon so vieles überstanden. Du kannst Dich beruhigen. Du bist der stärkste Partner/ die stärkste Partnerin an Deiner Seite. Denn Du kannst immer für Dich da sein. Du kannst Dein Nervensystem beruhigen. Egal an welchem Ort der Welt.
Frag Dich also immer: Wie kann ich mich in einer schwierigen Situation am besten unterstützen? Was sind meine besten (Selbstberuhigungs-)Tools, die ich immer mit dabei habe?
7) Es geht um gar nichts/ Du musst gar nichts:
Lange Zeit habe ich mich damit herumgequält, dass ich es den anderen im Urlaub (und schon vor dem Urlaub) recht machen wollte. Habe mich so verhalten, dass es für die anderen passt und dass die anderen zufrieden sind. Zum Beispiel wollte mein Partner früher immer gerne in Hotels fahren, um sich um die Verpflegung nicht selbst kümmern zu müssen. Aus seiner Sicht absolut verständlich, für mich der Horror. Ich war dann oft in der Zwickmühle, weil für mich gewisse Bedingungen gar nicht gepasst haben und das meine Angst geschürt hat. Habe mich dann angepasst und das hat dann eben zu den schon erwähnten Urlaubsabbrüchen geführt. Irgendwann habe ich die Entscheidung getroffen, dass es vorrangig für mich passen sollte. Und wenn ich aus der Angstspirale herauskommen wollte, dann musste ich die Bedingungen dafür schaffen. Und das habe ich ab dem Zeitpunkt gemacht. Und mir gesagt: “Es geht um gar nichts! Dann machen wir eben dieses doofe Frühstück selbst. Machen wir nicht ein Problem aus etwas, das keines ist.”
Frag Dich also immer: Woraus wird eine zu große Sache gemacht, die man für mich total einfach erleichtern könnte? Wobei geht’s “um gar nichts”?
8) Mach den nächsten Schritt:
Und wenn Du ein oder zwei Nächte gut schaffst, dann wage eine dritte. Wenn Du eine Stunde Autofahrt gut durchhältst, dann wähle einen Urlaubsort, der etwas weiter weg ist. Wenn Du mit dem Partner/ der Partnerin alleine schon ganz gut auf Urlaub fahren kannst, dann ist es vielleicht an der Zeit, mit anderen auf Urlaub zu fahren. Wir haben zum Beispiel manchmal zwei Nächte gebucht und wenn es mir gut ging, eine dritte drangehängt. Dann hatte ich die freie Entscheidung, ob ich bleiben wollte und musste das nicht schon vorher wissen. Außerdem waren wir mit Freunden auf Urlaub, haben unser Appartement aber 3 km entfernt gewählt, um genug Rückzugsmöglichkeit zu haben.
Frag Dich also immer: Wobei möchte ich den nächsten Schritt machen? Was traue ich mir schon zu?
Ehrlich gesagt war ich von den Tagen auf Korsika selbst überrascht. Aber es zeigt mir wieder einmal, dass ein Nervensystem, das völlig aufgewühlt war, und täglich mit Angst und Panik kämpfte, wieder zur Ruhe und Sicherheit zurückfinden kann. Glaub an Dich. Und an Dein Nervensystem. Ihr könnt das. Ganz sicher.